Nur die Hälfte der Schwangeren nimmt Folsäure und Jod gemäß den Empfehlungen

Frau mit Neugeborenem

Studie zeigt klaren Informationsbedarf bei Frauen im gebärfähigen Alter und während der Schwangerschaft auf

Frankfurt, 13.10.2020 – Viele werdende Mütter zeigen noch Wissenslücken hinsichtlich ihres Folsäure- und Jodbedarfs auf. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Studie zur Erhebung von Daten zum Stillen und zur Säuglingsernährung in Deutschland (SuSe II)*. Demnach greifen Frauen häufig zu spät oder gar nicht zu den empfohlenen Nahrungsergänzungsmitteln. Zwar nahmen in der Studie 81,7 Prozent der 966 befragten Frauen in der Schwangerschaft ein Folsäurepräparat ein, allerdings weniger als die Hälfte (45,4 Prozent) tat dies, wie empfohlen, bereits vor Beginn der Schwangerschaft. Neben Folsäure sollten Schwangere aufgrund des erhöhten Bedarfs auch frühzeitig Jod supplementieren, was lediglich die Hälfte der Studienteilnehmerinnen umsetzte.[1],[2] „Der Bedarf an den meisten Vitaminen und Mineralstoffen nimmt erst ab dem vierten Schwangerschaftsmonat zu und lässt sich durch eine ausgewogene Lebensmittelauswahl gewährleisten. Aber Folsäure und Jod bilden eine Ausnahme“, sagt der Gynäkologe Dr. Klaus Doubek. „Ihr Bedarf ist quasi ab der Empfängnis erhöht und sollte neben der Ernährung über die zusätzliche Einnahme von entsprechenden Nahrungsergänzungsmitteln gedeckt werden“, so das Beiratsmitglied der beiden Arbeitskreise Folsäure & Gesundheit** sowie Jodmangel e.V.*** weiter. Eine frühzeitige Aufklärung und Beratung von Frauen im gebärfähigen Alter, mit Kinderwunsch und mit Beginn der Schwangerschaft zur bedarfsgerechten Vitamin- und Mineralstoffversorgung ist somit unerlässlich – idealerweise erfolgen derartige Gespräche bereits im Rahmen der regelmäßigen Vorsorge.

Folsäure – schon ab Kinderwunsch!

„Folsäure und die natürlichen Folate gehören zu den wasserlöslichen B-Vitaminen und spielen unter anderem eine wichtige Rolle bei Zellteilungs- und Wachstumsprozessen. Eine Unterversorgung in den ersten Schwangerschaftswochen kann zu erheblichen Komplikationen wie einem Neuralrohrdefekt, also dem sogenannten offenen Rücken, oder auch Früh- und Fehlgeburten führen“, erklärt Doubek. „Eine gute Folsäureversorgung könnte viele Neuralrohrdefekte verhindern. Doch 95 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter in Deutschland weisen einen zu niedrigen Versorgungsstatus auf, wenn man die von der Weltgesundheitsorganisation, WHO, vor und in Schwangerschaften empfohlene, präventiv wirksame Folatkonzentration in den roten Blutkörperchen von 400 Mikrogramm pro Liter zugrunde legt.“ Aus diesem Grund sollten alle Frauen, die schwanger werden wollen, neben einer folatreichen Ernährung mit beispielsweise grünem Blattgemüse, Vollkornprodukten, Eiern, Milchprodukten und auch mit Folsäure angereichertem Jodsalz zusätzlich 400 Mikrogramm Folsäure einnehmen – und das mindestens vier Wochen vor der Schwangerschaft und während der ersten drei Schwangerschaftsmonate. Wenn mit der Supplementation erst kurz vor oder bei Schwangerschaftsbeginn begonnen wird, raten Experten zur Einnahme von 800 Mikrogramm am Tag.[3] Unabhängig davon empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) über die gesamte Schwangerschaft eine Folatzufuhr von 550 Mikrogramm am Tag.[4]

Jod – entscheidend für die körperliche und geistige Entwicklung

Das Spurenelement ist ein zentraler Bestandteil der Schilddrüsenhormone und essentiell für die körperliche und geistige Entwicklung des ungeborenen Kindes. „Bereits ein leichter Jodmangel kann zu einer verzögerten Entwicklung des Gehirns führen und den Intelligenzquotienten beeinträchtigen. Darüber hinaus sind Wachstumsverzögerungen, Hördefekte oder psycho- und feinmotorische Störungen mögliche Folgen. Aber gerade Frauen im gebärfähigen Alter erreichen meist weder die Zufuhrempfehlung von 200 Mikrogramm Jod am Tag für Erwachsene, noch die von 230 Mikrogramm Jod am Tag für Schwangere“, warnt Doubek. Dies zeigen bereits die Ergebnisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland, kurz DEGS, des Robert Koch-Instituts. Danach liegt die geschätzte durchschnittliche Jodzufuhr bei Frauen unter 30 Jahren mit 98 Mikrogramm am Tag deutlich unterhalb der Empfehlung. Auch die Frauen im Alter von 30 bis 39 Jahren kommen in der Studie lediglich auf 114 Mikrogramm Jod am Tag und die im Alter von 40 bis 49 Jahren auf 129 Mikrogramm Jod am Tag.[5] „Insbesondere jüngere Frauen sollten daher auf eine jodreiche Ernährung mit Seefisch, Meeresfrüchten, Milch- und Milchprodukten, Eiern sowie Jodsalz und damit hergestellten Produkten achten“, empfiehlt Doubek. „Damit eine ausreichende Jodversorgung während der Schwangerschaft gewährleistet ist, sollte zusätzlich ein Nahrungsergänzungsmittel mit 150 Mikrogramm Jod am Tag eingenommen werden. Dies gilt umso mehr, je größer der Anteil an pflanzlichen Lebensmitteln in der Ernährung ist.“ Die Empfehlung gilt für alle werdenden und stillenden Mütter, um Schilddrüsenfunktionseinbußen beim Fetus beziehungsweise Säugling zu vermeiden und eine optimale Entwicklung zu fördern.[6]

Weitere Informationen zu den Themen Folsäure und Jod finden Sie unter https://www.ak-folsaeure.de/ und https://jodmangel.de/

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*Die SuSe II-Studie ist von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) als Vorabveröffentlichung zum 14. DGE-Ernährungsbericht erschienen, welchen die Fachgesellschaft alle vier Jahre im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft erstellt.

**Der Arbeitskreis Folsäure & Gesundheit wurde 2002 gegründet. Darin zusammengeschlossen sind Fachgesellschaften, Verbände und Folsäure-Experten von Universitäten. Ziel ist es, das präventive Potenzial von Folsäure stärker bekannt zu machen und eine bessere Folsäureversorgung in Deutschland zu erreichen.

***Der Arbeitskreis Jodmangel e.V. (AKJ) setzt sich seit 1984 mit seinem interdisziplinären, wissenschaftlichen Beirat für die Bekämpfung des Jodmangels und eine bessere Jodversorgung in Deutschland sowie eine intensive Aufklärungsarbeit und ein stärkeres Bewusstsein für die Schilddrüsengesundheit ein


Quellen:

[1]Kersting M., Hochkamp N., Burak C. et al. (2020) Studie zur Erhebung von Daten zum Stillen und zur Säuglingsernährung in Deutschland – SuSe II. IN: Deutsche Gesellschaft für Ernährung (Hrsg.): 14. DGE-Ernährungsbericht. Vorveröffentlichung Kapitel 3, Bonn V1 – V34

[2]DGE-Pressemitteilung: „Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln in der Schwangerschaft – Still-Studie SuSE II zeigt Informationsbedarf auf, Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Ernährung, 22.09.2020

[3]Koletzko B, Cremer M, Flothkötter M et al. (2018) Ernährung und Lebensstil vor und während der Schwangerschaft – Handlungsempfehlungen des bundesweiten Netzwerks Gesund ins Leben. Geburtsh Frauenheilk, Georg Thieme Verlag

[4]Deutsche Gesellschaft für Ernährung, Österreichische Gesellschaft für Ernährung, Schweizerische Gesellschaft für Ernährung (Hrsg.): Jod. In: Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr. Bonn, 2.Auflage, 4. Aktualisierte Ausgabe (2018)

[5]Johner S.A. et al. (2016) Examination of iodine status in the German population: an example for methodological pitfalls of the current approach of iodine status assessment. Eur J Nutr, 55(3):1275-82. doi: 10.1007/s00394-015-0941-y

[6]Alexander E.K., Pearce E.N., Brent G.A. et al. (2017) 2017 Guidelines of the American Thyroid Association for the Diagnosis and Management of Thyroid Disease During Pregnancy and the Postpartum. Thyorid, Vol.27(3):315-389

Herausgeber:

Arbeitskreis Jodmangel e.V.
Vorsitzender: Prof. Dr. Roland Gärtner
Amtsgericht Frankfurt, VR 15167

Arbeitskreis Folsäure & Gesundheit
Sprecher Dr. Burkhard Lawrenz

Pressekontakt:

Arbeitskreis Jodmangel e.V.

Organisationsstelle
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Leimenrode 29
D-60322 Frankfurt/Main
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Arbeitskreis Folsäure & Gesundheit

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Telefax: 069/7076 8753
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Neuralrohrdefekte: Ablehnung der Folsäure-Anreicherung von Grundnahrungsmitteln bleibt nicht unwidersprochen

Schwangere Frau

Um die Rate an Neuralrohrdefekten bei Neugeborenen zu senken, werden bereits in 81 Ländern Grundnahrungsmittel mit Folsäure angereichert (1). Trotz der nachgewiesenen Erfolge findet die Anreicherung in Deutschland keine Zustimmung der Behörden. Im Jahr 2017 veröffentlichte das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) eine Stellungnahme zum Thema und kommt zu der Auffassung, dass es aufgrund von möglichen Risiken nicht empfehlenswert sei, Lebensmittel zusätzlich anzureichern (2). Prof. Dr. Rima Obeid, Universitätsklinikum des Saarlandes, und Prof. Dr. Klaus Pietrzik, Universität Bonn, (beide vom Arbeitskreis Folsäure & Gesundheit) kritisieren diese Stellungnahme als unzureichend. „Die Argumentation des BfR ist einseitig und offensichtlich verzerrt“, betont Obeid. „Mit einer ausreichenden Folsäureversorgung könnte etwa die Hälfte aller Neuralrohrdefekte und möglicherweise andere angeborene Anomalien deutlich reduziert werden. Diesem Aspekt wurde in der Stellungnahme des BFR nicht ausreichend Rechnung getragen.“ (3)

Folat vorbeugend einsetzen  

Pro Jahr sind in Deutschland etwa 1.000 Kinder von Neuralrohrdefekten betroffen. Das Neuralrohr bildet sich bereits in den ersten Schwangerschaftswochen. Daher sollten Frauen bereits ab Kinderwunsch pro Tag 0,4 mg Folat (z.B. Folsäure) zusätzlich zu der gewöhnten Ernährung zu sich nehmen, um zum Zeitpunkt der Empfängnis ausreichend versorgt zu sein (4). „Die Erfahrung zeigt jedoch, dass die Mehrheit der Frauen (> 70%) in dieser kritischen Phase nicht genügend Folat aufnimmt, weder über die Nahrung noch über Nahrungsergänzungsmittel“, erklärt der Ernährungswissenschaftler Pietrzik. „Außerdem gibt es immer noch eine hohe Zahl von ungeplanten Schwangerschaften (ca. 50%). Um diese Frauen zu erreichen, wäre es sinnvoll, Grundnahrungsmittel mit Folsäure anzureichern.“ Dies empfiehlt auch die internationale Gesellschaft für Teratologie (5). Im Sommer 2017 schloss sich der wissenschaftlich beratende Ausschuss für Ernährung in Großbritannien dieser Empfehlung an (6).

Einschätzung des BfR zweifelhaft

Das BfR befürchtet eine Überschreitung der Unbedenklichkeitsgrenze für Folsäure von 1 mg pro Tag. Nehmen Patienten mit ausgeprägtem Vitamin B12 Mangel gleichzeitig zu große Mengen an Folsäure auf, bleibt der Mangel eventuell unerkannt. Über eine Maskierung der Vitamin B12 Mangel-Anämie wurde erst bei einer längerfristigen und relativ hohen Folsäuregabe von mehr als 5 mg am Tag berichtet (7,8).

Die Auffassung, dass das Krebsrisiko höher ist, wenn Menschen zu viel Folsäure einnehmen, wird kontrovers diskutiert. Die negativen Berichte beziehen sich auf Tierversuche mit sehr hohen Folsäure-Mengen. Oder aber, es handelt sich lediglich um Assoziationen aus klinischen Studien. Aus diesen Assoziationen lässt sich jedoch keine Kausalität ableiten. Prof. Pietrzik teilt diese Auffassung und erklärt: „Ein kausaler Zusammenhang zwischen Vitaminen und Krebs ist zweifelhaft und immer noch hoch umstritten. Die seit Jahrzehnten praktizierte Anreicherung mit Folsäure (in den USA seit 1998) zeigt eine effektive Wirkung in der Prävention und keine unerwünschte Wirkung auf Populationsebene. Demgegenüber stehen ganz klare Vorteile für die gesamte Bevölkerung.“ Neben den Vorteilen für die Entwicklung des ungeborenen Kindes, können durch angereicherte Lebensmittel die Folat-Mangel-Zustände beseitigt und auch das Schlaganfallrisiko gesenkt werden (9).

Methodische Mängel

Die Autoren kritisieren, dass das BfR für dessen Stellungnahme eine selektive und unvollständige Literaturrecherche durchgeführt habe: „Das entspricht nicht den Kriterien, die für eine solche Bewertung vorgeschrieben sind“, bemängelt Prof. Obeid „Die wichtige ethische Frage, ob wir schwere Behinderungen bei Kindern mit einer Lebensmittelanreicherung, die auch gleichzeitig kostengünstig ist, verhindern sollen, blieb gänzlich unbeachtet.“ Die Autoren und der AK Folsäure und Gesundheit empfehlen daher, dass vorhandene Studien neu und anhand definierter Qualitätskriterien bewertet werden.

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*Folat und Folsäure: Die verschiedenen folatwirksamen Verbindungen in Lebensmitteln bezeichnen Experten mit dem Sammelbegriff Folat(e). Folsäure ist die synthetische Form, die bei der Anreicherung von Lebensmitteln zugesetzt wird oder in Supplementen enthalten ist. Dabei handelt es sich um ein Provitamin, das im Körper erst durch metabolische Prozesse zu den bioaktiven Folat-Formen umgewandelt werden muss.


Quellen:

  1. Food Fortification Initiative (2018): Country Profiles for Grain Fortification. Online unter: http://www.ffinetwork.org/ country_profiles/index.php; Letzter Aufruf 24.9.2018.
  2. Bundesinstitut für Risikobewertung (2017): Nutzen-Risiko-Abwägung einer flächendeckenden Anreicherung von Mehl mit Folsäure. Online unter: http://www.bfr.bund.de/cm/343/nutzen-risiko-abwaegung-einer-flaechendeckenden-anreicherung-von-mehl-mit-folsaeure.pdf; Letzter Aufruf 24.9.2018.
  3. Obeid, R, Pietrzik, P (2018): Neuralrohrdefekte: Das Veto gegen Folsäure im Mehl sollte überdacht werden. Dtsch Arztebl; 115(27-28): A-1329 / B-1123 / C-1115. Online unter: https://www.aerzteblatt.de/archiv/198957/Neuralrohrdefekte-Das-Veto-gegen-Folsaeure-im-Mehl-sollte-ueberdacht-werden
  4. Obeid R, Pietrzik K, Oakley GP Jr, Kancherla V, Holzgreve W, Wieser S (2015): Preventable Spina Bifida and Anencephaly in Europe. Birth Defects Research (Part A): Clinical and Molecular Teratology 2015. Birth Defects Res A Clin Mol Teratol. 103(9):763-71.
  5. International Teratology Society (1997): Teratology Society Consensus Statement on Use of Folic Acid to Reduce the Risk of Birth Defects. Online unter: https://www.teratology.org/pubs /folicacid.pdf; Letzter Aufruf 24.9.2018.
  6. Scientifc Advisory Committe on Nutrition (2017): Update on folic acid. https://assets.publishing.service.gov.uk/government/ uploads/system/uploads/attachment_data/file/637111/SACN_Update_on_folic_acid.pdf; Letzter Aufruf 28.06 2018.
  7. Wald NJ, Morris JK, Blakemore C (2018): Public health failure in the prevention of neural tube defects: time to abandon the tolerable upper intake level of folate. Public Health Rev; 39:2.
  8. US Institute of Medicine Standing Committee on the Scientific Evaluation of Dietary Reference Intakes and its Panel on Folate, Other B Vitamins, and Choline (1998): Dietary Reference Intakes for Thiamin, Riboflavin, Niacin, Vitamin B6, Folate, Vitamin B12, Pantothenic Acid, Biotin, and Choline. Chapter 8: Folate. Washington D.C., National Academies Press; 196–305.
  9. Jenkins DJA, Spence JD, Giovannucci EL, et al. (2018): Supplemental Vitamins and Minerals for CVD Prevention and Treatment. J Am Coll Cardiol; 71:2570–84.

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Studie: Die Anreicherung von Mehl mit Folsäure könnte Psychosen bei Kindern verhindern

Backzutaten und Utensilien

Die Ergebnisse einer Studie des Massachusetts General Hospitals (MGH) der Harvard Medical School legen nah, dass Folsäure* das Risiko für psychische Störungen im Jugendalter verringert. Die Forscher hatten den Einfluss von Folsäure bei amerikanischen Kindern untersucht die vor, während und nach der Einführung der Folsäureanreicherung von Getreideprodukten in den USA geboren wurden. Sie fanden heraus, dass eine gute Versorgung mit dem B-Vitamin die Entwicklung der Großhirnrinde günstig beeinflusst (1). Experten empfehlen Frauen mit Kinderwunsch, auf ihre Folsäureversorgung zu achten, um das entstehende Kind vor schweren Fehlbildungen wie dem „offenen Rücken“, einem Defekt des Neuralrohrs, zu schützen. Bislang blieb jedoch die Frage, welchen Einfluss die Folsäureversorgung auf die Gehirnentwicklung des Kindes hat, noch unbeantwortet. Die vielversprechenden Daten des MGHs deuten an, dass eine ausreichende Folsäureversorgung noch weitere positive Einflüsse haben könnte.

1996 hatte die US-Regierung die Anreicherung von Getreideprodukten mit 140 μg Folsäure pro 100 g beschlossen. Seit 1998 ist diese verpflichtend. Dadurch sollte die Folsäureaufnahme, insbesondere bei Frauen im gebärfähigen Altern, erhöht werden. Eine ausreichende Versorgung mit Folsäure von Schwangeren, vor allem in den ersten Schwangerschaftswochen, beugt beim Embryo schweren Fehlbildungen vor. Seit Einführung der Folsäureanreicherung sind in den USA diese Fehlbildungen signifikant zurückgegangen (2). Eine Studie des MGH zeigt nun, dass auch die Häufigkeit psychologischer Erkrankungen durch eine ausreichende Folsäureversorgung gesenkt werden könnte (1).

„Die positiven Auswirkungen auf die Psyche sollten ein weiterer Grund für Frauen sein, rechtzeitig bei Kinderwunsch auf ihre Folsäureversorgung zu achten“, sagt Kinderarzt Dr. Burkhard Lawrenz Sprecher des Arbeitskreis Folsäure. „Für Frauen im gebärfähigen Alter wäre eine Anreicherung von Grundnahrungsmitteln sinnvoll. So könnten auch Kinder profitieren, deren Mütter ungeplant mit ihnen schwanger werden.“

Viel Folsäure – Dickere Großhirnrinde

Das MGH hatte unterschiedliche Gruppen von Kindern und Jugendlichen untersucht: Kinder, deren Mütter schwanger geworden waren bevor und nachdem die Folsäureanreicherung von Getreideprodukten eingeführt wurde. Die Forschenden maßen bei fast 300 Kindern die Dicke der Großhirnrinde, der äußersten Schicht des Gehirns. Durch normale Alterungsprozesse verringert sich die Dicke der Großhirnrinde ab einem Alter von ca. 6 Jahren. Das kann mittels einer Magnetresonanz Tomographie (MRT) sichtbar gemacht werden. Im Vergleich zeigte sich, dass die Dicke der Großhirnrinde langsamer abgenommen hatte, wenn die Kinder nach der Einführung der Folsäureanreicherung gezeugt worden waren. Wenn die Kinder noch vor der Einführung der Folsäureanreicherung geboren, hatten sie deutlich dünnere Großhirnrinden. Bei einer dritten Gruppe waren die Kinder in der Übergangsphase gezeugt worden – nach Beschluss der Einführung aber vor in Kraft treten der Folsäureanreicherung. Die Dicke der Großhirnrinde dieser Kinder lag genau zwischen den Ergebnissen der beiden anderen Gruppen. Aus diesem Grund vermuten die Forscher, dass Folsäure die Dicke der Großhirnrinde dosisabhängig beeinflusst (1).

Folsäure schützt vor psychischen Erkrankungen

Die verfrühte Verdünnung der Großhirnrinde steht mit einem erhöhten Risiko für psychische Erkrankungen im Zusammenhang (3). Die ausreichende Versorgung mit Folsäure während der frühen Phase der Schwangerschaft könnte also bei den Kindern psychische Erkrankungen vorbeugen. Kohortenstudien aus Philadelphia und Washington D.C. bestätigten die Daten des MGH. Auf welche Weise Folsäure die Gehirnentwicklung beeinflusst ist jedoch noch nicht bekannt. Die Forschenden vermuten, dass Folsäure die Regulierung der Gene beeinflusst, die für die Entwicklung der Großhirnrinde verantwortlich sind (1).

Empfehlungen für eine bessere Versorgung

Um ihre Bevölkerung und besonders jüngere Frauen besser mit Folsäure zu versorgen, reichern bereits 81 Länder weltweit bestimmte Grundnahrungsmittel mit Folsäure an (5). Während in Europa die Bestrebungen für eine Anreicherung sehr verhalten sind (4), werden in den USA seit 1998 ausgewählte Mehlsorten angereichert. Mit gutem Ergebnis: Seitdem werden dort Neuralrohrdefekte nur noch etwa halb so oft wie vor Beginn der Anreicherung beobachtet (2, 6). In Deutschland können Verbraucher gezielt auf Nahrungsmittel achten, die Hersteller freiwillig mit Folsäure anreichern, wie etwa bestimmte Speisesalze, Backmischungen oder Frühstücksflocken. Das B‑Vitamin kommt außerdem natürlicherweise in Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten und Vollkornprodukten vor. Im Alltag wird davon jedoch meist zu wenig gegessen. „Die Entwicklung des Neuralrohrs und des Gehirns beginnt bereits in den ersten Schwangerschaftswochen“, sagt Dr. Lawrenz. „Daher sollten Frauen bereits vor der Schwangerschaft auf eine ausreichende Folatversorgung achten. Dies kann man in Deutschland am sichersten mit einem Nahrungsergänzungsmittel erreichen. Auch Frauen im gebärfähigen Alter sollten in ihrer Ernährung auf den Folatgehalt achten – falls sie ungeplant schwanger werden.“

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* Folat und Folsäure: Die verschiedenen folatwirksamen Verbindungen in Lebensmitteln bezeichnen Experten mit dem Sammelbegriff Folat(e). Folsäure ist die Bezeichnung für die Vitaminform, die bei der Anreicherung von Lebensmitteln zugesetzt wird oder in Supplementen enthalten ist.


Quellen:

1)       Erylmaz H, et al. (2018): Association of Prenatal Exposure to Population-Wide Folic Acid Fortification With Altered Cerebral Cortex Maturation in Youths. JAMA Psychiatry. 75(9):918-928.

2)       Obeid R, Oexle K, Rißmann A, Pietrzik K, Koletzko B. (2016): Folate status and health: challenges and opportunities. J Perinat Med. 1;44(3):261-8.

3)      Narr KL et al. (2005): Mapping cortical thickness and gray matter concentration in first episode schizophrenia. Cereb Cortex. 15(6):708-719.

4)      Obeid R, Pietrzik K, (2016): Neuralrohrdefekte: Das Veto gegen Folsäure im Mehl sollte überdacht werden. Dtsch Ärztebl. 115(27-28): A-1329 / B-1123 / C-1115.

5)      Food Fortification Initiative (2018): Country Profiles for Grain Fortification. Online unter:  http://www.ffinetwork.org/ country_profiles/index.php; Letzter Aufruf 24.9.2018.

6)      Obeid R, Pietrzik K, Oakley GP Jr, Kancherla V, Holzgreve W, Wieser S. (2015): Preventable Spina Bifida and Anencephaly in Europe. Birth Defects Research (Part A): Clinical and Molecular Teratology 2015. Birth Defects Res A Clin Mol Teratol. 103(9):763-71.

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