Auch gut fürs Herz: Folsäuresupplementation geht mit vermindertem Risiko für angeborene Herzfehler einher

Von der ersten Schwangerschaftswoche an läuft die Zellteilung auf Hochtouren, damit aus der befruchteten Eizelle ein Embryo entsteht. Bereits früh werden dabei das Herz sowie das Neuralrohr gebildet, aus dem sich das zentrale Nervensystem entwickelt. „Eine Unterversorgung der Schwangeren in dieser Zeit mit dem B-Vitamin Folat kann nicht nur das Risiko für Neuralrohrdefekte, sondern auch das für angeborene Herzfehler erhöhen“, sagt Professorin Dr. Rima Obeid von der Universität des Saarlandes und Beisitzerin im Arbeitskreis Folsäure & Gesundheit. In einer systematischen Übersichtsarbeit zeigten Obeid und ihr Team: Die Wahrscheinlichkeit ein Kind mit angeborenem Herzfehler zu bekommen, war bei denjenigen Frauen niedriger, die folsäurehaltige Supplemente in der Schwangerschaft eingenommen haben.1

Risiko um 18 Prozent geringer

Angeborene Herzfehler sind mit einer Häufigkeit von rund 80 Fällen pro 10.000 Geburten in Europa die häufigste Form angeborener Fehlbildungen bei Neugeborenen (31,2 Prozent). Die Ursachen für Fehlbildungen am Herzen sind dabei vielfältig. „Zu den Risikofaktoren zählen genetische Faktoren, Infektionserkrankungen oder Alkoholkonsum. Aber auch die mütterliche Folsäuresupplementation vor und während der Schwangerschaft hat möglicherweise einen Einfluss“, erklärt Obeid. „Unsere Analyse von über 40 weltweit durchgeführten Studien hat gezeigt, dass das Risiko für angeborene Herzfehler um 18 Prozent geringer war, wenn die Mütter ein Folsäure- oder gleichwertiges Folatpräparat in dieser Zeit einnahmen. Das unterstreicht abermals die präventive Bedeutung von Folsäure“, so die Wissenschaftlerin.

Gute Folatversorgung spätestens ab Kinderwunsch

„Um ausreichende und präventiv wirksame Folatspeicher im Körper zu erreichen, sollten Frauen, die schwanger werden wollen oder könnten, mindestens vier Wochen vor einer Schwangerschaft mit der Supplementation beginnen und diese mindestens bis zum Ende des ersten Schwangerschaftsdrittels fortführen“, rät Obeid. Zahlreiche Fachgesellschaften und medizinische Berufsverbände empfehlen, neben einer folatreichen Ernährung zusätzlich 400 Mikrogramm Folsäure oder gleichwertige Folatverbindungen in Tablettenform einzunehmen. Wenn erst kurz vor oder bei Schwangerschaftsbeginn mit der Einnahme begonnen wird, raten Experten zu einer Dosierung von 800 Mikrogramm am Tag. Für eine gute Ausgangsbasis sorgt eine folatreiche Ernährung mit vielen verschiedenen Gemüsesorten wie Brokkoli, Grünkohl, Fenchel, Tomaten, Spargel und grünem Blattgemüse, aber auch mit Hülsenfrüchten, Nüssen, Vollkornprodukten und Eiern. Beim Kochen im eigenen Haushalt kann zusätzlich mit Folsäure und Jod angereichertes Speisesalz verwendet werden.

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Quellen:
1 Hans J., Abul-Khaliq, Obeid R. (2021) Der Zusammenhang zwischen Folsäuresupplementierung in der Schwangerschaft und angeborenen Herzfehlern. Gyne, 6/2021, S.23-27

2 Bundesinstitut für Risikobewertung – BfR (2015) Fragen und Antworten zu Folat und Folsäure. https://www.bfr.bund.de/cm/343/fragen-und-antworten-zu-folat-und-folsaeure.pdf (zuletzt aufgerufen am 11.05.2022)

 

Zur Person:
Prof. Dr. Rima Obeid studierte Pharmazie und Public Health und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Universitätsklinikum des Saarlandes. Sie leitet die Forschungsgruppe in der Klinischen Chemie und Laboratoriumsmedizin und beschäftigt sich mit den Folgen von Vitamin B12- und Folatmangel, insbesondere bei Schwangeren und älteren Menschen.

Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Vermittlung neuer evidenzbasierter Forschungsergebnisse über die Vorteile der Folsäure- beziehungsweise Folatsupplementation in der Schwangerschaft. Mit der Aufklärung zu diesem Thema verfolgt sie das Ziel, die Akzeptanz und das Bewusstsein für frühzeitige und bestmögliche Vorsorgemaßnahmen insbesondere bei jungen Frauen zu steigern.

Bei Kinderwunsch und darüber hinaus: Folsäure nicht vergessen

Interview mit Dr. Klaus Doubek, niedergelassener Frauenarzt, Präsident des Berufsverbands der Frauenärzte e. V. und Mitglied im Arbeitskreis Folsäure & Gesundheit, zur Bedeutung der Folsäuresupplementation sowie bedarfsgerechten Versorgung vor und während der Schwangerschaft.

Herr Dr. Doubek, die sogenannte SuSe II‑Studie zeigt abermals den großen Aufklärungsbedarf bei Frauen im gebärfähigen Alter, was die Bedeutung der Folsäuresupplementation vor und während der Schwangerschaft anbelangt.

„Das ist richtig. Die neueste Studie zur Erhebung von Daten zum Stillen und zur Säuglingsernährung in Deutschland, kurz SuSe II, macht den Aufklärungsbedarf erneut deutlich. Es ist zwar erfreulich, dass fast 82 Prozent der 966 befragten Frauen in der Schwangerschaft ein Folsäurepräparat einnahmen, aber weniger als die Hälfte tat dies, wie empfohlen, bereits vor Beginn der Schwangerschaft. Deshalb müssen junge Menschen und besonders Frauen im gebärfähigen Alter nach wie vor möglichst früh von der Bedeutung der rechtzeitigen und ausreichenden Folsäureversorgung für die Schwangerschaft erfahren.“

Warum ist eine frühzeitige Folsäuresupplementation denn so wichtig?

„Sowohl die synthetisch hergestellte Folsäure als auch die natürlich vorkommenden Folatverbindungen gehören zu den Folaten. Das Folat ist ein Vitamin, und zwar das Vitamin B9. In Deutschland nehmen viele Frauen im gebärfähigen Alter nicht genügend Folat auf und haben mit Blick auf eine mögliche Schwangerschaft zu niedrige Folatspeicher im Körper. Erschwerend kommt hinzu, dass der Folatbedarf ab der Empfängnis, also der Befruchtung der Eizelle, erhöht ist. Aus diesem Grund wird allen Frauen, die schwanger werden wollen oder könnten, neben einer folatreichen Ernährung die zusätzliche Einnahme von 400 Mikrogramm Folsäure in Tablettenform empfohlen. Denn meist können nur so die wünschenswerten, präventiv wirksamen Folatspeicher bereits vor einer Schwangerschaft erreicht werden.“

Präventiv wirksame Folatspeicher – was bedeutet das?

„In den ersten Schwangerschaftswochen wissen viele Frauen noch nicht, dass sie schwanger sind. Aber bereits in dieser frühen Phase entsteht das sogenannte Neuralrohr, was sich gegen Ende der vierten Schwangerschaftswoche vollständig schließt und aus dem sich später das zentrale Nervensystem des Kindes entwickelt. Bei diesem Vorgang spielen Folate eine wichtige Rolle, da sie insbesondere an Zellteilungs- und Wachstumsprozessen beteiligt sind. Eine Unterversorgung in den ersten Schwangerschaftswochen kann das Risiko für einen unvollständigen Verschluss des Neuralrohrs, auch Neuralrohrdefekt genannt, und andere angeborene Fehlbildungen erhöhen. In Deutschland ist ungefähr jede tausendste Schwangerschaft von einem Neuralrohrdefekt betroffen. Der ‚offene Rücken‘ oder medizinisch ‚Spina bifida‘ zählt dabei zu den bekanntesten Formen. Eine rechtzeitige und bedarfsgerechte Folatversorgung kann dabei helfen, das Risiko für Neuralrohrdefekte zu senken.“

Wann sollte mit der Supplementierung idealerweise begonnen werden?

„Mindestens vier Wochen vor der Schwangerschaft, besser noch davor. Im Prinzip schon ab dem Zeitpunkt, ab dem ein konkreter Kinderwunsch besteht. Außerdem sollte die Einnahme von Folsäurepräparaten zumindest über das gesamte erste Schwangerschaftsdrittel erfolgen. Wer damit aber erst kurz vor oder bei Schwangerschaftsbeginn starten kann, sollte vorsorglich 800 Mikrogramm Folsäure am Tag einnehmen. Beratung erhalten Frauen und Paare mit Kinderwunsch beispielsweise in der Frauenarztpraxis, in der Apotheke und bei Ernährungsfachkräften.“

Weitere Informationen rund um das Thema Folsäure finden Sie unter: https://www.ak-folsaeure.de/

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Zur Person:
Dr. med. Klaus Doubek ist niedergelassener Frauenarzt, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte e.V. (BVF) und seit 2015 Mitglied des Arbeitskreises Folsäure & Gesundheit. In seiner frauenärztlichen Tagesroutine gibt es immer wieder Beratungs- und Untersuchungsanlässe, bei denen der prophylaktische Ansatz der frühzeitigen Folsäuresupplementation fest dazu gehört. Gemeinsam mit dem Arbeitskreis Folsäure & Gesundheit verfolgt Herr Dr. Doubek das Ziel, durch Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit der Bevölkerung die Bedeutung der Folsäureprophylaxe näher zu bringen und die Akzeptanz für rechtzeitige und effektive Vorsorgemaßnahmen – insbesondere bei jungen Menschen mit Kinderwunsch – zu steigern.

Folatreiche Ernährung: Das können Verbraucherinnen und Verbraucher tun

Interview mit der Folsäure-Botschafterin und Diplom-Ökotrophologin Ingrid Zobel‑Gajek zum Thema: Warum eine folatreiche Ernährung – insbesondere für Frauen im gebärfähigen Alter – wichtig ist und wie sie erreicht werden kann. Frau Zobel‑Gajek lebt selbst mit einem Neuralrohrdefekt.

Es kann verwirrend sein: Im Alltag stoßen Verbraucherinnen und Verbraucher auf die Begriffe Folate, Folat und Folsäure – was ist der Unterschied?

„Unter dem Begriff Folate werden verschiedene Verbindungen oder Formen des Vitamins B9 zusammengefasst. Zu diesen Formen gehören das Folat, das natürlicherweise in Lebensmitteln vorkommt, aber auch die synthetisch hergestellte Folsäure. Letztere wird zum Beispiel für die Herstellung von Nahrungsergänzungsmitteln oder die Anreicherung von Lebensmitteln wie Speisesalz verwendet.“

Warum ist eine ausreichende Folatversorgung überhaupt so wichtig?

„Folat ist im menschlichen Körper an vielen Stoffwechselprozessen beteiligt, insbesondere an der Zellteilung und an Wachstumsprozessen. Gerade deshalb ist dieses B-Vitamin für Frauen, die schwanger werden möchten oder könnten, von großer Bedeutung. Denn schon in den ersten vier Schwangerschaftswochen finden beim Embryo die Zellteilungsprozesse statt, bei denen das zentrale Nervensystem des werdenden Kindes angelegt wird. Fehlt in dieser Zeit Folat, kann sich der Körper womöglich nicht wie geplant entwickeln und es zu Neuralrohrdefekten kommen. Viele Menschen haben in diesem Zusammenhang vielleicht schon einmal den Begriff ‚offener Rücken‘ oder ‚Spina Bifida‘ gehört. Das ist eine der häufigsten Formen des Neuralrohrdefekts, bei der sich das Rückgrat nicht richtig schließt. Eine gute Folatversorgung unterstützt also die gesunde Entwicklung des Embryos.“

Wie viel Folat sollten wir täglich über die Nahrung aufnehmen?

„Allgemein empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, einem gesunden Erwachsenen täglich 300 Mikrogramm Folat zu sich zu nehmen. Aber schon dieses Ziel wird im Alltag oft nicht erreicht. Schwangere und Stillende haben zudem einen deutlich höheren Bedarf. Die DGE rät hier zu einer täglichen Aufnahme von 550 beziehungsweise 450 Mikrogramm. Diesen Bedarf ausschließlich über die herkömmliche Ernährung zu decken, ist kaum möglich.“

Was raten Sie: Wie können Frauen vorsorgen?

„Für Frauen mit Kinderwunsch und alle, die schwanger werden könnten, gilt die Empfehlung, mindestens vier Wochen vor der Schwangerschaft zusätzlich zu einer folatreichen Ernährung 400 Mikrogramm Folsäure am Tag in Tablettenform einzunehmen. In jedem Fall kann eine abwechslungsreiche Ernährung die Basis für einen ausreichenden Folatstatus bereiten. Besonders reich an Folat sind Gemüsesorten wie Brokkoli, Grünkohl, Fenchel, Spinat, Blattsalate, Tomaten, Spargel und Sprossen. Auch Orangen, Vollkornprodukte, Kartoffeln, Eier, Nüsse und Hülsenfrüchte wie Linsen oder Kichererbsen stellen gute Folatquellen dar. Da Folatverbindungen sehr empfindlich sind, ist es wichtig, die Lebensmittel möglichst schonend zuzubereiten. Sprich dünsten statt kochen, nur kurz waschen und lagern und fertige Speisen nicht lange warmhalten. Das geht natürlich im Alltag nicht immer.“

Was kann noch helfen?

„Zusätzlich stehen in vielen Ländern mit Folsäure angereicherte Grundnahrungsmittel für Verbraucherinnen und Verbraucher zur Auswahl. In Deutschland ist dies zum Beispiel Speisesalz, welches durch die Anreicherung die leicht gelbliche Farbe der Folsäure annimmt. Weil eine zusätzliche Jodaufnahme ebenfalls empfohlen wird, bietet es sich an, zum Würzen in der heimischen Küche mit Folsäure angereichertes Jodsalz zu verwenden. Diese Möglichkeit ist unter Verbraucherinnen und Verbrauchern aber noch nicht so gut bekannt. Folsäure ist zudem im Gegensatz zu Folat deutlich beständiger. Sie bleibt also unabhängig von der Zubereitungsart im Essen gut erhalten.“

Was wäre aus Ihrer Sicht wünschenswert, um die Folatversorgung in Deutschland weiter zu verbessern?

„Es bedarf einer frühzeitigen Aufklärung vor allem junger Menschen über die große Bedeutung dieses B-Vitamins, insbesondere hinsichtlich der Vorbeugung von Neuralrohrdefekten und anderen angeborenen Fehlbildungen. Diese Aufklärung sollte bereits in den Schulen beginnen. Auch Kampagnen in den sozialen Netzwerken mit klaren Botschaften und einfachen Handlungsempfehlungen sind geeignet, um junge Menschen darüber zu informieren. Von Kampagnen aus den Niederlanden wissen wir, dass sich solche Botschaften auch sehr wirkungsvoll im direkten Gespräch vermitteln lassen. Hier sind unter anderem Ernährungsfachkräfte, Ärzt*innen, insbesondere Gynäkolog*innen, und Apotheker*innen gefragt.“

Meine Tipps für eine folatreiche Ernährung:

  • Eine abwechslungsreiche Ernährung mit vielen verschiedenen Gemüsesorten wie Brokkoli, Grünkohl, Fenchel, Spinat, Blattsalate, Tomaten, Spargel und Sprossen ist die Basis
  • Lebensmittel wie Orangen, Vollkornprodukte, Kartoffeln, Eier, Nüsse und Hülsenfrüchte sind ebenfalls gute Folatlieferanten
  • Die Lebensmittel möglichst schonend zubereiten: Dünsten statt kochen, nur kurz waschen und lagern sowie fertige Speisen nicht lange warmhalten
  • Zusätzlich in der heimischen Küche mit Folsäure und Jod angereichertes Speisesalz verwenden
  • Und alle Frauen, die schwanger werden wollen oder könnten, sollten mindestens vier Wochen vor der Schwangerschaft – am besten schon ab Kinderwunsch – zusätzlich zu einer folatreichen Ernährung 400 Mikrogramm (µg) Folsäure am Tag in Tablettenform einnehmen

Weitere Informationen rund das Thema Folsäure finden Sie unter: https://www.ak-folsaeure.de/

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Zur Person:
Ingrid Zobel-Gajek ist Diplom-Ökotrophologin und ehrenamtliche „Botschafterin für eine bessere Folsäureversorgung“ des Arbeitskreises Folsäure & Gesundheit. Nach ihrem Studium arbeitete Frau Zobel-Gajek unter anderem bei der Verbraucherzentrale NRW e.V. und ist nun seit über 20 Jahren freiberuflich als Ernährungsberaterin tätig. Die Bedeutung der Folsäure und ausreichenden Folatversorgung für den menschlichen Körper ist ihr aus wissenschaftlicher Perspektive und den zahlreichen Jahren in der professionellen Ernährungsberatung vertraut. Als Spina bifida-Patientin und Mutter von zwei Töchtern ist ihr das Thema der „Folsäureprophylaxe“ auch persönlich wichtig.

Gemeinsames Ziel von Frau Zobel-Gajek und dem Arbeitskreis Folsäure & Gesundheit ist es, durch Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit der Bevölkerung – und insbesondere jungen Menschen mit Kinderwunsch – die Bedeutung der Folsäureprophylaxe näher zu bringen und die Akzeptanz für rechtzeitige und effektive Vorsorgemaßnahmen zu stärken.